Grüß Gott Frankenwinheimer,
Sehr geehrter
Bürgermeister Finster, Frau Bürgermeisterin, Mitglieder des
Gemeinderates, Ehrengäste, Frankenwinheimer Mitbürger,
Liebe Freunde,
die Ehre, die mir entgegen gebracht wird, erfreut mich und macht
mich sehr glücklich.
Aber vor allen Dingen bin ich stolz und dankbar dafür, was
Frankenwinheim durch die Arbeit seiner Bürgermeister Kunzmann,
Theuerer und Finster und
dem Dichter und Schriftsteller Fritz Röll erreicht hat.
Ich bin genauso dankbar für die Arbeit und den Einsatz von drei
Generationen der Familie Helbig und Frankenwinheimer Freunden,
die den ermordeten jüdischen Mitbürgern gedenken und zur
Versöhnung beitragen. Ich freue mich und fühle mich geehrt, dass
ich während der letzten 25 Jahre an diesem Prozess beteiligt
sein konnte.
Liebe Frankenwinheimer Mitbürger, lasst uns feiern und stolz
sein, was wir bisher erreicht haben.
Nun möchte ich mehr über die Versöhnung sprechen. Wir haben
schon viel erreicht im Prozess der Versöhnung, trotzdem sollten
wir noch mehr dafür tun. Warum? Weil die Versöhnung ein Prozess
ist und kein Ziel. Wenn wir den Prozess der Versöhnung
durchlaufen, vergessen oder ignorieren wir nicht, was war,
sondern wir beschließen, aus der Vergangenheit zu lernen. Die
Versöhnung
verändert die Beziehung untereinander, wie wir miteinander
umgehen, wie wir die Welt sehen und wie wir mit der Welt
umgehen. Es gibt jedoch einige Taten, die eine Versöhnung nicht
in Betracht ziehen. Diese können nicht toleriert und dürfen
nicht vergessen werden.
Nur ein paar Meter von hier, wo wir jetzt stehen, unten am
Kirchberg, steht das Haus, in dem mein Freund Gerhard Friedmann
geboren wurde. Am 22. April 1942 wurden Gerhard und sein Bruder
Walter, seine Schwester Ilse und ihre Eltern aus ihrem Haus
geschleppt, auf einem Lastwagen geladen, zu einem Sammelplatz in
Würzburg gefahren. Dort wurden sie zusammen mit allen anderen
übrigen Juden aus Unterfranken auf Viehwägen geladen, in ein
Lager nach Polen gebracht, getötet und in einem Krematorium
verbrannt.
70 Jahre später, am 11. März 2012, kam ein Mann auf einem
Motorrad vor eine jüdische Schule in Toulouse in Frankreich
gefahren, schoss um sich und tötete drei junge Kinder und ihren
35 Jahre alten Vater und Lehrer. Der einzige Grund für dieses
Töten – wie im Jahre 1942 und 2012 – war, dass die Menschen
Juden waren.
Hass ist sinnlos und nimmt auf Volkszugehörigkeit und
Glaubenszugehörigkeit keine Rücksicht. Wir dürfen die Menschen
nicht vergessen, die unter dem Bösen gelitten haben.
Im Jahre 1992 habe ich während meines Besuchs in Frankenwinheim
Schorsch Plettner getroffen. Als ich hier gelebt habe, war er
mein Nachbar. Er
war derjenige, der uns half, das Vieh vom Bahnhof in Gerolzhofen
nach Hause zu fahren. Er erzählte mir mit Tränen in den Augen,
wie er am Ende des Zweiten Weltkriegs für viele Jahre in einem
Arbeitslager für deutsche Soldaten gefangen gehalten wurde. Die
Bedingungen dort waren unmenschlich und unvorstellbar. Als er
endlich entlassen wurde und am Bahnhof in Gerolzhofen ankam, war
er so verwirrt und verängstigt, dass er in den Wald rannte. Dort
hat er sich viele
Tage lang versteckt, bis er gefunden und nach Hause gebracht
wurde. Ich weiß, dass Schorsch nur einer von Tausenden
ehemaligen deutschen Soldaten war, die in Stalins Arbeitslagern
brutal misshandelt und zum Tod verurteilt wurden, nur weil sie
Deutsche waren.
Meine lieben Frankenwinheimer, was können wir tun für den
weiteren Versöhnungsprozess? Um eines klarzustellen! Niemand von
uns ist schuldig. Die Schuldigen sind mit wenigen Ausnahmen tot.
Wir sind nicht schuldig, wir sind verantwortlich.
Der Versöhnungsprozess, in den wir eingebunden sind, verlangt,
dass wir Verantwortung, Verbundenheit und Einsatz zeigen. Und
ich hoffe, diese Verantwortung an unsere Kinder und Enkel
weitervermitteln zu können, wie es mir bei meinen Kindern und
Enkelkindern gelungen ist. Diesmal begleitet mich meine Enkelin
Elspeth, die ich Ihnen gerne vorstellen darf.
Diese Verantwortung verlangt, dass wir Verbrecher persönlich
aufgrund ihrer Taten zur Verantwortung ziehen, nicht aufgrund
ihrer Rasse, ihrer Nationalität, ihrer Religion, ihrer
Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Geschichte oder ihrer Kultur.
Wir können den Versöhnungsprozess durch Erinnern und Aufklären
am Laufen halten, wie es Gudrun Theuerer 1988 und Juliane Böhm
1999 in ihren Facharbeiten gelungen ist.
Wie es Eva-Maria Bräuer am Jüdischen Friedhof tut und im Namen
der Betroffenen Aufklärungsarbeit leistet, ebenso
wie Fritz Röll in seinen
Gedichten und Texten.
Wir können weiterhin Denkmäler setzen. Bürgermeister Finster und
die Gemeinderäte von Frankenwinheim errichteten deshalb einen
Gedenkstein für die ermordeten Juden.
Vor allem können wir den Versöhnungsprozess weiterführen, indem
wir uns daran beteiligen und immer gegen Fremdenhass kämpfen.
Liebe Mitbürger, es gibt
verschiedene Wege zu der Ewigkeit. Aber es gibt nur eine
gemeinsame Menschlichkeit. Wenn wir diese gemeinsame
Menschlichkeit erreichen, mit Respekt für Unterschiede und
Ehrlichkeit, wie wir es hier in Frankenwinheim getan haben, sind
wir wirklich eingebunden im Versöhnungsprozess.
Ich möchte sie nun alle zu einer Minute des Schweigens
auffordern in Gedenken an die Familie Friedmann, die Mordopfer
von Toulouse und Schorsch Plettner, welcher brutal im
Stalinistischen Russland gefoltert wurde.
Dies ist nun mein fünfter Besuch in Frankenwinheim. Mein Enkelin
Elspeth und ich möchten uns für die Einladung bei Herrn
Bürgermeister Finster und der Gemeinde Frankenwinheim
herzlich bedanken. Auch möchte ich für Ihre
Aufmerksamkeit und Ihr Interesse meinen Dank aussprechen und
wünsche Euch allen eine gute Zukunft.
|